Ohrenfeindt – Der Bandchef Chris Laut im Interview

Chris Laut über die aktuelle Situation, soziales Engagement, die Liebe zu seinen Fans und die neue CD.


Es ist jetzt, fast auf den Tag genau, 10 Jahre her, dass ich Chris auf einer Grillparty kennen lernte. Über seine Tattoos ins Gespräch gekommen, stellte sich heraus, dass er Sänger ist. „Höre es Dir einfach mal an, wenn Du zu Hause bist“, sagte er. Was ich dann auch tat. Damals war die Musik noch nicht meins, ich versprach ihm aber, dass ich, sollte ich jemals auf eins seiner Konzerte gehen, ganz Groopie-Like im Schulmädchen-Kostüm mit Pompoms auftauchen würde. Auch das tat ich. Denn der Rock von Ohrenfeindt hatte mich in seinen Bann gezogen.

Als „deutschsprachige Antwort auf AC/DC“ haben sie trotzdem ihren eigenen Beat, gewürzt mit einer ordentlichen Portion Blues, und begeistern mit ihren Liedern Fans weltweit auf Festivals, Konzerten und im Radio.

Chris selber ist St. Paulianer mit Leib und Seele. Mit seinen Liedern rockt er nicht nur die Bühnen des Landes, sondern bringt auch mal die dunkle Seite der Reeperbahn zur Sprache oder spielt alleine auf einem kleinen Gig im St. Pauli- Museum.

Inzwischen mit diversen Alben zu Hause, freue ich mich mit vielen anderen Fans darauf, dass im Herbst endlich die neunte CD herauskommt. Da wird es doch mal Zeit für ein „Verhör“.

Wir haben über anderthalb Stunden telefoniert und das Gespräch verlief häufig sehr emotional.

Ich habe Dich mal gefragt, warum Du angefangen hast Musik zu machen und du hast geantwortet: „Ich war ein kleiner, dicker Junge und wollte an Mädchen ran.“

Chris Laut (lacht): Natürlich denkt man mit 15 Jahren, wenn man anfängt Musik zu machen, auch an sexuelle Gefälligkeiten. Aber ist dann irgendwann vorbei. Eine Weile ist das vielleicht ganz toll. Irgendwann geht es aber nicht mehr darum, sondern um ganz andere Dinge. Du würdest nicht glauben, was die Musik und die Fans dir alles zurückgeben. Bei Musik geht es um Emotionstransport. Das ist viel, viel mehr. Und deswegen sind wir auch von ganzem Herzen Live-Musiker.

2010 warst du in Afghanistan und Usbekistan, um für die Soldaten ein Konzert zu geben. Wie sind sie auf dich gekommen?

Chris Laut: Engagiert war die AC/DC-Cover Band „Hellfire“ aus Hannover. Da der Sänger leider nicht konnte, fragten sie mich. Ich habe aus drei Gründen sofort zugesagt:

Grund 1: Ich fand das unglaublich spannend. Wann kommt man denn als Sänger mit deutschsprachigen Songs schon mal nach Afghanistan?

Grund 2: Ich war selbst lange Soldat und da ging es quasi um meine „alten Jungs“. Die machten da jeden Tag einen echt schweren Job. Ich wusste sofort: „Ja klar bin ich dabei, wenn ich sonst nichts tun kann.“

Grund 3: Da hatten Musiker-Kollegen ein Problem. Wenn ich gefragt werde, ob ich helfen kann: selbstredend.

Ich hatte Zeit, Bock und kannte fast alle Songs. Schließlich habe ich früher auch schon AC/DC Cover gemacht. Wer bin ich, dass ich da Nein sagen würde?

Wie hast du dich dabei gefühlt?

Chris Laut: Für mich war es sehr spannend. Normalerweise spielen wir in Clubs, in denen die Beleuchtung und die Beschallung schon vorhanden ist. Hier musste alles mittransportiert werden.

In Afghanistan standen wir vor Soldaten aus 10 bis 15 verschiedenen Nationen und alle haben sie zusammen gefeiert, sich gefreut und haben Spaß gehabt. Ich stand auf der Bühne und wusste: Wir waren das, die ihnen dieses Erlebnis schenken konnten!

Es war ein toller Abend und ein unglaublich cooles Erlebnis.

Du bist sehr ambitioniert bei dem Projekt „Kinder-Hospiz Sternenbrücke“ unterwegs. Wie bist du darauf gekommen?

Chris Laut: Ich bin immer daran vorbeigefahren und habe mich gefragt „Was tun die eigentlich?“.

Die „Sternenbrücke“ hilft Familien, deren Kinder schwer und unheilbar erkrankt sind. Dafür braucht es Kraft und die haben sie – aber es braucht eben auch Geld. Und einen Teil davon sammeln wir bei unseren Shows. Seit 17 Jahren können wir von unserer Musik leben und das ist ein ganz, ganz großes Glück. Dieses Glück wollten wir weitergeben an Menschen, die nicht so viel Glück gehabt haben.

Glück wird mehr, wenn man es teilt

Chris Laut

Für mich war das immer selbstverständlich.

Wir engagieren uns auch für Viva con Agua , die sich weltweit für sauberes Trinkwasser einsetzen. Für beide Projekte konnten wir inzwischen schon über 30.000 Euro sammeln.

Deine Bitte um Spenden zu Deinem Geburtstag dieses Jahr ging ja durch die Decke. Die Spenden waren deutlich über dem von Dir erbetenen Betrag.

Chris Laut: Wir als Band haben die Möglichkeit die Großzügigkeit unserer Fans zu kanalisieren. Bei beiden Projekten wissen wir, dass das Geld wirklich ankommt und nicht verpufft.

Egal, was du tust, du ziehst damit bestimmte Leute an. Und wenn wir mit dem, was wir tun, so tolle Menschen anziehen, bin ich darüber stolz, froh und sehr, sehr dankbar.

Ich habe irgendwo etwas über eine DVD gelesen. Stimmt das und wenn ja, wann können wir sie erwarten?

Chris Laut: Die Aufnahmen für die DVD haben wir am 26.12.2019 zum 25-jährigen Jubiläum der Band im Grünspan in Hamburg aufgezeichnet. Eigentlich war es geplant, die DVD zu Tourbeginn herauszubringen, was sich ja nun leider Corona bedingt verschoben hat. Wir hoffen nun, dass wir im 4. Quartal dieses Jahrs wieder anfangen können zu touren. Für die Live-DVD passt es dann erstmal nicht, sie ist aber für 2021 geplant.

Heißt das, dass wir auch auf die CD warten müssen?

Chris Laut: Nein, keine Sorge. Im Mai waren wir im Studio, Mitte Juli fangen wir mit dem Mix an und Ende Oktober kommt die Scheibe raus.

Die neue CD heißt: „Das Geld liegt auf der Straße“. Worum geht es in den Songs?

Chris Laut: Der Titel-Song handelt von unentschlossenen Menschen und verpasste Gelegenheiten. Ein weiterer handelt von der ersten Liebe auf dem Schulhof. „Motocross im Treppenhaus“ dreht sich um Extremsportarten (lacht). Es geht um „Dirty Deals“ und natürlich auch um den Rock’n’Roll. Es ist der typische Ohrenfeindt-Mix aus schnellen Rockern, stampfendem Blues, Bottleneck, Mundharmonika und etwas nachdenklicheren Tönen wie dem Andenken an einen verstorbenen Freund. 

Wie immer wird es auch wieder eine Vinyl-Scheibe geben. Eine Fanbox ist auch wieder in Planung, der Inhalt ist aber noch geheim. Wir möchten den Fans etwas Spezielles geben.

Das Album „Schwarz auf Weiß“ landete als erstes Eurer Alben in den Charts. Wie hast Du Dich gefühlt, als Du davon gehört hast?

Chris Laut: Wir waren gerade mit In Extremo auf Tour, als ich den Anruf bekam, dass wir auf Platz 53 in den Charts sind. Ich dachte nur „Alter, wir sind in den Charts! Geil!“ Welcher Platz, das war mir egal. Der Traum, den ich mit 15 Jahren hatte, war wahr geworden und ich konnte von der Musik tatsächlich leben. Wenn ich meinen Eltern heutzutage davon erzähle, dass unser jeweils aktuelles Album in den Charts ist, reagieren sie immer noch mit „Waaaaaas??“ (lacht).

Inzwischen waren fünf Eurer Alben in den Charts, davon drei in den Top 40. Wie erklärst Du Dir das?

Chris Laut: Ohrenfeindt passt nicht in den aktuellen Mainstream. Wäre man böswillig, könnte man sagen, unsere Musik sei uncooler, alter Scheiß. Wobei ich mich frage, warum AC/DC-Konzerte immer ausverkauft sind, wenn keiner mehr diese Art von Musik hört. Letztlich hatten wir keine Major-Company oder breite Medienunterstützung auf unserer Seite. Alles, was wir erreicht haben, ist das Resultat unserer eigenen Arbeit und unseres eigenen Willens, der uns vorangetrieben hat. Und der Treue und des großen Herzens unserer Fans. Sie finden bestimmt auch andere Musik gut, aber wenn sie feiern wollen, gehen sie zu einem unserer Konzerte. 

Es sind unsere Fans, die uns auf ihren Schultern durch das Leben tragen.

Chris Laut

Unsere Fans zahlen indirekt unsere Miete. Wir finden es immer noch krass, dass es so viele Fans gibt, denen wir so viel bedeuten, dass sie uns das alles ermöglichen. Dafür sind wir sehr, sehr dankbar. 

Es gibt Musiker, die bei größeren Erfolgen den Kontakt zur Realität verlieren. Klar würde ich – hätten wir plötzlich ein Platin-Album – auch erstmal über dem Boden schweben und mir ein großes Auto kaufen und zwei Bodyguards besorgen. Aber so kann man vielleicht mal ein paar Wochen drauf sein, dann sollte man auf den Boden der Realität zurückkommen.

Wie kommt Ihr mit der aktuellen Situation zurecht?

Chris Laut: Bands wie wir stehen auf drei Pfeilern: CD, Gagen und Merchandising.

CDs sind eher vertonte Visitenkarten, mit denen Gigs rangeholt werden und wirtschaftlich eher ein Nullsummenspiel.

Die Open-Air-Saison wurde dieses Jahr nahezu komplett abgesagt. Und Indoor-Auftritte sind momentan kaum möglich. Unter den jetzigen Auflagen dürften wir in einer 1.200er-Location vor 70 bis 80 Gästen spielen. Damit das aufgeht, müsste ein Ticket 200 Euro kosten. Abgesehen davon kommt einfach keine Stimmung auf, wenn du mit Maske und einem 1,5 Meter Abstand auf der Bühne stehst und vor einem fast leeren Saal spielst, in dem auch alle 1,5 Meter ein Gast steht. Autokinokonzerte sind vielleicht ein bis zwei Mal lustig. Aber Du siehst das Publikum nicht, da fließt keine Energie hin und her. Eine Band braucht den Austausch mit dem Publikum, damit es funktioniert. Auf diesem Gebiet sind Einnahmen im Augenblick also auch eher unrealistisch.

Dazu kommt, dass wir derzeit keine Merchandiseartikel bei Konzerten verkaufen dürfen, da dabei das Social Distancing gegebenenfalls nicht eingehalten wird. Betriebswirtschaftlich betrachtet, ist eine Band wie wir ein mobiler Textileinzelhändler mit angeschlossener Unterhaltungseinheit. Aber derzeit fehlen uns diese Einnahmen, während weder über CDs noch Gagen wirklich das Geld reinkommt, das wir zum Weitermachen brauchen.

Auch emotional ist es schwierig. Wir lieben unseren Beruf und haben ihn uns ja nicht nur ausgesucht, weil wir gern auf der Bühne stehen, sondern auch, weil wir gern reisen und Menschen begegnen. Das fehlt uns definitiv sehr. 

Was denkst Du darüber, wie der Staat euch Musiker momentan unterstützt?

Chris Laut: Die Live-Musik-Industrie in Deutschland ist milliardenschwer und umfasst über 40.000 Beschäftigte. Da sie aber kleinteilig mit vielen Freiberuflern organisiert ist, hat der Staat uns nicht im Blick. Die Absenkung der Umsatzsteuer beispielsweise hilft uns kaum, denn Merchandise-Artikel setzen wir, wie bereits erwähnt, kaum ab und bei den Tickets sparen Endverbraucher bei einem 30-Euro-Ticket 60 Cent. Das wird – vor dem Hintergrund dessen, dass die Ausgestaltung von Veranstaltungen ab Oktober noch völlig unklar ist – den Ticketverkauf jetzt nicht spürbar ankurbeln. Dagegen sehen wir Hilfen für die Lufthansa beispielsweise im Milliardenbereich. Ich würde mich freuen, wenn der Staat sein Füllhorn eher über kleinteilige Branchen ausschüttet, die gegen eine Krise nicht annähernd so gut gewappnet sind wie DAX-Konzerne. Und: für den medizinischen Bereich wird aus meiner Sicht viel zu wenig getan.

Wie denkst du über das Corona-Hilfspaket?

Die Umsetzung ist in den Bundesländern offenbar sehr unterschiedlich gestaltet. Und sie hilft freischaffenden Musikern kaum. Wenn nur Betriebsausgaben zählen (die ein freischaffender Musiker kaum hat, wenn er wegen der Pandemie gerade keine Shows hat), bekommt er nichts. Wie soll er dann seine Miete zahlen und überleben? Es ist alles uneinheitlich und nicht zu Ende gedacht. Wir möchten niemanden gefährden, weder uns noch andere. Man sollte aber bedenken, dass wir quasi einem Berufsausübungsverbot unterliegen. Also brauchen wir halt eine Alternative für diese Zeit. Und da kann der Staat sicher helfen. Viele von uns haben irgendwann mal einen bürgerlichen Beruf gelernt, in dem wir auch arbeiten können. Gegebenenfalls könnten die Arbeitsagenturen eine Task Force einrichten, um Freiberuflern temporär weiterzuhelfen. Oder der Staat hilft dem Live-Musik-Sektor mit einer einheitlich gestalteten Überbrückungshilfe, bis wir wieder kulturell arbeiten dürfen. Vielleicht ist ja auch eine Art befristete Grundsicherung denkbar. 

Aber: das ist Jammern auf hohem Niveau. Bei uns ist ja eigentlich alles gut. Wenn man sich Länder wie Brasilien oder Amerika anschaut, können wir froh sein, dass wir in Deutschland leben.

Wie denkst Du wird es in Zukunft aussehen?

Chris Laut: Im Augenblick hoffen wir, dass wir unsere Tour im November/Dezember überhaupt spielen können. Aber selbst wenn, dann stellt sich ja noch die Frage, ob alle Venues das Ganze überlebt haben, sprich, die Busverleiher, die Agenturen, die Techniker und alle, die da sonst noch so involviert sind.

In einem Jahr wird es vielleicht nur noch ein Drittel der Bands und die Hälfte der Clubs geben. Was ist mit Musikalienhändlern, Getränkelieferanten, Poster- und Shirtdruckern oder Servicekräften? Manche Band- oder Crewmitglieder haben vielleicht in der Zwischenzeit einen regulären Job angenommen und kommen oder wollen da so schnell nicht wieder raus. Da hängt so viel dran, über das kaum jemand nachdenkt. Aber ich hoffe, dass wir das alles überstehen und uns im November endlich wiedersehen und zusammen rocken können.

Lieber Chris, ich danke Dir von Herzen für das Gespräch. Du hast mich zum Nachdenken gebracht und emotional berührt. Ich hoffe einfach auf ein Happy End und den Tag, an dem ich Euch wieder live sehen darf.

Bildquellen

  • tuolu_ohrenfeindt_02: Patrick Kramer
  • tuolu_ohrenfeindt_01: Patrick Kramer
  • Tuolu_ohrenfeindt_titelbild: Stephan Sackmann